Ausstellung der Bremer Kunsthalle

Von Anne Stammwitz
Bildquelle: Fernando Bryce, Unvergessenes Land, 2017, Serie von 25 Zeichnungen, Installationsansicht Kunsthalle Bremen, Courtesy der Künstler und Galerie Barbara Thumm, Berlin, Foto: Tobias Hübel

Die Macht von Bildern – Neue Bilder immer gleicher Macht?

Zentral im mittleren Saal des ersten Obergeschosses, umringt von der Dauerausstellung der Bremer Kunsthalle, ist die Ausstellung „Fernando Bryce. Unvergessenes Land“ zu sehen: Vier Wände, fünf Themen, eine Schau.

Der zwischen Peru, Deutschland und den USA pendelnde Künstler weist mit seinen Arbeiten auf die Macht von Bildern und deren potentiell manipulativen und propagandistischen Gehalt in Bezug auf Kolonialismus, Imperialismus und Weltpolitik hin. Die Ausstellung „Fernando Bryce. Unvergessenes Land“ zeigt zudem Bremens kolonialrevisionistische Tendenzen seit 1914. So zitiert Bryce zeitgenössische, in der Öffentlichkeit behandelte (Selbst-)Verständnisse von Kultur und Zivilisation. Bryces künstlerische Hinweise auf ideologische Bild- und Machtstrukturen und deren mediale Vermittlung beziehen sich auf die Vergangenheit aber auch auf das Heute. In seinen Arbeiten sucht er die hohe Bedeutsamkeit von Kolonialismus und Imperialismus für die Gegenwart aufzuzeigen, wenn er etwa auf die „Norddeutsche Gewerbe- und Industrieausstellung“ hinweist, aus der das heutige Übersee-Museum hervorging.

Für die Ausstellung in der Kunsthalle Bremen hat Bryce aus dem Staatsarchiv Bremen, den Archiven der Handelskammer, den Kunstsammlungen Böttcherstraße, dem Übersee-Museum und der Kunsthalle Bremen über 1.000 Briefe, Werbeanzeigen, Zeitungsartikel, Fotos, Karikaturen, Statistiken und Postkarten fotografiert. Davon sind knapp 200 als Zeichnungen reproduziert in der Ausstellung zu sehen. Sein Duktus ist eine Mischung aus akribischer Schwarzweiß-Reproduktion des zum Teil farbigen, zum Teil schwarzweißen Quellenmaterials. Gelegentlich spart er im Original vorhandene Details zugunsten einer verstärkten Ikonisierung der verbleibenden Bildelemente in seinen Zeichnungen aus. Stilistisch homogenisiert Bryce so das Archivmaterial der Form nach. Inhaltlich findet ebenfalls eine Art Angleichung statt: Durch die Anordnung der Zeichnungen werden diese egalisiert, wenn etwa inflationär gedruckte Werbeplakate neben politisch brisanten Manifesti hängen. Die Art der Hängung der Bilder erzeugt ein Gesamtbild intrapikturaler Neukonstellationen, wohingegen die Zeichnungen einzeln betrachtet fragmentarisch wirken. In den fünf unterschiedlichen Werkgruppen der Jahre 2014 bis 2017 ist es dieses Spiel des Hinweisens und neu Kontextualisierens, anhand dessen Bryce eine Analyse von Geschichtskonstruktion vollzieht, die konventionelle Machtstrukturen und deren Narrative aufbricht und in ein Passepartout neuer Zusammenhänge setzt. Fernando Bryce bezeichnet sich selbst als Bastler. Doch seine künstlerischen Verweise sind markant. Eine Zeichnung aus der Werkgruppe „Unvergessenes Land“ zeigt eine sitzende Herero-Frauen nachbildende Figurengruppe, die in einer 1930 gezeigten kolonialrevisionistischen Ausstellung von gaffenden Ausstellungsbesuchern bestaunt wird. Diese Bildauswahl Bryces ist bezeichnend, denn die Herero widersetzten sich 1904 in Namibia den deutschen Kolonisatoren. In dem darauf folgenden Vernichtungskrieg wurden rund 65.000 der etwa 80.000 Herero und 10.000 der rund 20.000 Menschen der Nama umgebracht. Dieser Krieg gilt als erster Genozid des 20. Jahrhunderts.

Die Werkgruppen „Paradoxurus Adustus“ und „Auf frischer Tat“ beschäftigen sich mit der Aufteilung und Einordnung der Welt in Gattungen. Forschungsdrang, Etikettierungen und das Herstellen von Präparaten stehen im Vordergrund, sowie das Begehren, die Welt als Wunderkammer besitzen zu wollen. In „Untitled (Le réseau intercolonial français de T.S.F. ferait le tour du monde)“ wird in Nachzeichnungen einer Pariser Modeillustrierten der, heute brandaktuellen, Frage kultureller Aneignung nachgegangen: Wer macht wem die Hutmode nach? Die Pariser Hutmacher den sog. Sauvages oder umgekehrt? „To the Civilized World“ bezieht sich auf Zusammenhänge von Kulturverständnissen und Kriegspropaganda während des Ersten Weltkriegs. Zeitungsausschnitte der Alliierten, die über Zerstörungen der Universitätsbibliothek in Löwen oder der Kathedrale in Reims durch die sog. deutschen Kulturbanausen berichten, hängen neben einer Zeichnung des Manifest der 93, in dem deutsche Intellektuelle einer rassistischen Kulturhierarchie anhängen. Sie verstanden den Einsatz afrikanischer Soldaten gegen die Mittelmächte als moralisches Verbrechen und Beleidigung Deutschlands. Bryce erzählt eine Geschichte von Gewalt, Kulturgutzerstörungen und gegenseitiger Vorwürfe. Damit verweist er auf Gewaltvorwürfe, die der Art nach an Gewalttaten in den Kolonialgebieten der europäischen Kolonisatoren erinnern und die so fiktiv oder real in Europa angekommen und zu kriegspropagandistischen Zwecken eingesetzt worden sind. Zugleich zeigt Bryce eine neue Form der kulturellen Ruinenästhetik: Auf Postkarten werden zeitgenössische Kulturgutzerstörungen präsentiert.

Zum einen werden durch die Bilder Sichtweisen verschoben und Diskurse alter Machtstrukturen offengelegt. Zum anderen handelt es sich um gezeichnete und leicht veränderte Wiederholungen des Quellenmaterials. Ganz nach Gilles Deleuze wird in der Publikation zur Ausstellung argumentiert, jede Form der Wiederholung beinhalte auch eine Differenz zum Wiederholten; und wenn diese Differenz in ihrer unscheinbarsten Form nur für den Wiederholenden, also hier Fernando Bryce, erkennbar sei. Bremen möchte nicht alte Geschichten wiederholen, sondern eine neue, reflektierte und nicht-rassistische Erinnerungskultur entwickeln. Dieses Ziel versetzt die Themenwand zu Bremen in verändertes Licht: Angeordnet in sakral erscheinender Symmetrie wirken die Portraits von Hermann Heinrich Meier, dem Gründer von Norddeutsche Lloyd und Adolf Lüderitz, dem Begründer der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, geradezu erhaben. Da hängen sie endlich, nachdem sie bereits im zugehörigen Wandtext zur Werkgruppe genannt sind und ausführlich in der Publikation zur Ausstellung behandelt werden. So sind sie eingebettet in einer Potpourri-gleichen Petersburger Hängung aus kolonialrevisionistischer Propaganda und Zeitungsartikeln zur verzögerten Einweihung des 1932 als „Reichskolonialehrendenkmal“ betitelten, heutigen Antikolonialdenkmals. Reproduziert am Ende dieser bildnerische Rückblick gleiche Verhältnisse, gleiche Strukturdiskurse und gleiche Rassismen?

Bryce sieht die Differenz im Wiederholtem und hat den Abstand als Außenstehender, um die Portraits von Lüderitz und Co. zu zeigen, die ihm immer wieder in den Archiven während seiner Recherchen begegneten. Doch gilt dies auch für die Besucher*innen? Jede*r ist angehalten, diese Ausstellung zu besuchen und selbst nach Zitaten und Hinweisen zur kolonialen Vergangenheit und immer noch aktuellen kolonialen Selbstverständnissen, vor allem der Stadt Bremen, zu suchen.
Die Ausstellung „Fernando Bryce. Unvergessenes Land“ ist bis zum 19. November 2017 in der Kunsthalle Bremen zu sehen.

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